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Digitalisierung
Meine Daten gehören mir! Wem nützt der Digitalisierungs-Hype? Nicht in erster Linie den Nutzerinnen und Nutzern, ist Philip Karger im ersten Teil seiner zweiteiligen Analyse überzeugt, sondern denjenigen, die Digitalisierung zum Vorwand nehmen, kostenlos an persönliche Daten zu gelangen und diese gewinnbringend zu nutzen. Ob staatlich oder privat, ob Startup oder alteingesessenes Unternehmen: Jede Firma und jede Organisation muss heute «digital» sein – und sei es nur mit einem uralten Formular, welches neuerdings mittels Mobiltelefon ausgefüllt werden kann. Digitalisierung ist zu einem Zwang geworden, dem alle hinterherhecheln. Wer nicht dabei ist – so die Berater aus allen Ecken – wird abgehängt und verliert. Dabei ist es beileibe nicht so, dass die Digitalisierung alles besser macht. Wenn wir irgendwoher telefonisch Informationen erhalten möchten, hängen wir nach langem Anmeldeprozedere ziemlich oft ziemlich lange in Warteschleifen irgendeiner Hotline fest. Da hat man sich im analogen Zeitalter deutlich besser um seine Kundinnen und Kunden gekümmert. Zweifellos bringt die Digitalisierung – richtig eingesetzt – Vorteile. Prozesse und Abläufe können optimiert werden, Informationen sind schneller verfügbar und können viel einfacher ausgetauscht und recherchiert werden, als das früher der Fall war. Aber es gibt eben auch die andere Seite. Kaum ein Tag vergeht, an dem wir nicht irgendwo Werbung sehen oder auf einem elektronischen Gerät erklärt bekommen, dass wir nicht mehr zeitgemäss sind, wenn wir nicht alle unsere Angelegenheiten über unser Mobiltelefon erledigen. Und niemand hat uns je gefragt, ob wir wirklich tagtäglich aktualisierte Informationen darüber abrufen wollen, wieviel Cashback wir von einer Kreditkartenfirma erhalten könnten oder wie hoch unsere Hypothek ist. Ein erster Kreditkartenanbieter schliesst nun sogar schon seine Website, so dass man nur noch über eine App die eigenen Daten einsehen und Rechnungen abrufen kann. Wir haben zwar keine finanziellen Vorteile, wenn wir alles selbst nachschauen und erledigen, aber die Firma spart dadurch Lohnkosten, denn wir machen ja die ganze Arbeit für sie. Wir verwalten unsere Benachrichtigungen selber, fragen den aktuellen Saldo, den noch verfügbaren Betrag ab, laden unsere Rechnungen herunter und können auch jederzeit unseren PIN-Code ändern. Demnächst, das wird besonders hervorgehoben, können wir über die App auch unsere Kreditkarte selber sperren, unsere Adresse selber ändern und wir können – darauf haben wir schon lange gewartet – angeben, ob wir die monatliche Rechnung auf Papier oder elektronisch erhalten wollen. Natürlich funktioniert das alles garantiert reibungslos nur auf Telefonen der neuesten Generation, wohl weil die Entwicklung von Apps für ältere Mobiltelefone zu teuer wäre und diese Geräte nebenbei auch deutlich weniger Daten speichern und preisgeben würden. Und das alles wird uns als «Fortschritt» verkauft. Ist es das wirklich? Nein, denn auf den ersten Blick scheint es zwar verlockend, jederzeit und überall auf seine Daten zugreifen und alle gewünschten Veränderungen selber vornehmen zu können – aber bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass diesem Vorteil gewaltige Nachteile gegenüberstehen. Das fängt damit an, dass ziemlich viele persönliche Daten über eines der am schlechtesten geschützten Medien, das Mobiltelefon, hin und hergeschickt werden. Gelingt es einer Firma, uns zum Download einer App zu bewegen und darüber mit uns zu kommunizieren, erfährt sie viel mehr über uns, als wenn das via Website geschieht. Via Mobiltelefon werden viele Bewegungsdaten beiläufig mitabgefragt. Die Betreiber der App erfahren, wo wir was eingekauft haben, ob die Daten unserer FitnessApp Anlass zur Sorge geben, ob wir auch Apps von Konkurrenten verwenden und so einiges mehr. Darüber, wer wann welche Daten mitabruft, haben wir trotz Möglichkeiten, dies in den Einstellungen aufwändig einzuschränken, keine zuverlässige Kontrolle. Wer sich jetzt fragt, warum diese Angaben zum Beispiel für eine Kreditkartenfirma von Interesse sein sollten, dem sei versichert: Sie sind es: Zum Eigengebrauch, weil es für die Einschätzung unserer Kreditwürdigkeit vielleicht als wichtig angesehen wird, ob wir gesund leben oder unsere Bestell-App für Pizza und Döner die am häufigsten verwendete ist. Oder zum gewinnbringenden Handel, weil die gespeicherten Daten unserer GesundheitsApp auch Dritte interessieren. Offensichtlich haben die Verantwortlichen gemerkt, dass nicht alle alles über ihre Mobiltelefone erledigen wollen. Darum beglücken sie ihre Kundinnen und Kunden mit «Motivationshilfen», zum Beispiel in Form von zusätzlichen Kosten, wenn man sich eine Rechnung weiterhin per Post oder Mail zusenden lassen möchte. Wenn ein gut funktionierendes Onlineangebot eingestellt und man zum Umsteigen auf eine App-Lösung gedrängt wird, ist das nur mit Datensammelwut und dem Ziel von Einsparungen auf Kosten von Mitarbeitenden, Kundinnen und Kunden erklärbar. Dagegen sollten wir uns wehren, unseren Unmut deutlich äussern und wenn möglich auf Alternativen setzen. In Indien bietet WhatsApp und damit auch Facebook bereits ein eigenes Bezahlsystem an. Bald wird das auch bei uns der Fall sein. Dazu passt die Diskussion über die Abschaffung von Bargeld. Im Moment können sich kritisch eingestellte Personen dieser Entwicklung noch entziehen, in wenigen Jahren schon wird das nicht mehr möglich sein. Diese Form von Digitalisierung liegt nicht im Interesse der Bevölkerung. Darum sollte diesem Thema unbedingt jede und jeder Beachtung schenken. Wer sich nicht darum kümmert «weil ja sowieso schon viele Informationen bei Facebook sind», handelt fahrlässig. Empfehlung Persönliche Daten heissen so, weil sie Teil Ihrer Persönlichkeit sind. Überlegen Sie sich beim Onlinestellen von Daten immer, ob sie diese Informationen über sich auch in der Zeitung lesen oder im Fernsehen hören wollten. Jede Information, die sie in Social Media, in Apps, bei Online-Wettbewerben oder sonstwo im Internet von sich preisgeben, ist potenziell öffentlich. Ihre gesundheitlichen Beschwerden, Ihr Beziehungsstatus, Ihre letzte ausschweifende Party oder Ihre Vorlieben zum Beispiel – ist es Ihnen wirklich egal, wenn Ihre Arbeitskolleginnen und -kollegen, Ihr Vermieter, Ihr Bankberater oder Ihr künftiger Arbeitgeber davon erfahren? Hinzu kommt, dass einmal öffentliche Daten nicht mehr gelöscht werden können. Das Internet vergisst nicht. Darum ist Zurückhaltung beim Preisgeben von persönlichen Daten und beim Nutzen von vermeintlich attraktiven neuen Angeboten dringend empfohlen. 29.04.2021 / Philip Karger |