Persönlich.Unternehmerinnen und Unternehmer erzählen.
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Kathrin Walde
Basel hat nach einer Ausbildung zur Heilpädagogin und einigen Jahren Berufserfahrung eine berufsbegleitende CAS-Ausbildung als Kulturmanagerin am Stapferhaus in Lenzburg gemacht. Seit 2014 ist sie als Produktionsleiterin in den darstellenden Künsten tätig. Sie coacht angehende Produktionsleitende, gibt Kurse für Projektmanagement beim Kulturmarkt in Zürich, berät im «KulturHub» im ROXY Birsfelden Kulturschaffende, ist Vorstandsmitglied bei Pro Cirque und engagiert sich in vielen weiteren Projekten für ihre Leidenschaft, die Kultur. Ausserdem ist sie ensa Instruktorin (für Erste Hilfe psychische Gesundheit). |
Kathrin Walde (Foto: Joël Sames)
Kathrin Walde hat ihre Leidenschaft für die Kultur zu ihrem Beruf gemacht. Als Produktionsleiterin unterstützt sie professionelle Produktionen, bildet angehende Kulturmanagerinnen aus und berät als «Ambassador» bei «#seinodernichtsein» Bühnenkünstlerinnen und Bühnenkünstler in Fragen der Vorsorge und zur sozialen Sicherheit.
unternehmen: Wie hast Du das letzte Jahr, bezogen auf Covid-19, beruflich erlebt? Kathrin Walde: Ich war zum Glück nicht existenziell betroffen und hatte auch im letzten Jahr Aufträge. Für viele Künstler/innen und Veranstalter/innen war und ist die Situation aber dramatisch. Wer plötzlich während eines Jahres keine Engagements mehr bekommt oder seinen Betrieb geschlossen halten muss, ist mit riesigen Problemen konfrontiert. Dies vor allem auch darum, weil viele teilweise nicht oder erst verspätet staatliche Hilfsmassnahmen in Anspruch nehmen konnten und die Auszahlungen zum Teil sehr lange gedauert haben. Du engagierst Dich bei «#seinodernichtsein», einem Vorsorgeportal für Bühnenkünstler/innen. Als Produktionsleiterin war ich schon vor Covid-19 regelmässig mit Fragen zum Thema Existenzsicherung und Vorsorge von Bühnenkünstlerinnen und -künstlern konfrontiert. Freie Künstler/innen sind Kleinunternehmer/innen, die sich wie alle anderen Selbständigerwerbenden und KMU damit beschäftigen müssen, wie sie ihre Existenz inklusive sozialer Absicherung und Vorsorge finanzieren können. Wer keinen Arbeitsvertrag als Ensemblemitglied bei einem Theater oder Orchester hat, wird in aller Regel für einzelne Engagements verpflichtet. Das bedeutet, dass sie oder er während eines Jahres viele verschiedene Vertragspartner hat. In vielen Fällen nehmen diese nicht die Rolle eines Arbeitgebers, sondern eines Auftraggebers ein. Es wird eine Gage ausgehandelt und die Künstler/innen müssen sich selber um Sozialversicherungen, Vorsorge und viele andere administrative Dinge kümmern. Oft werden die Kosten dafür bei Gagen «vergessen», was längerfristig zu grossen Problemen führt, wenn zum Beispiel bei der AHV Beitragslücken bestehen, Verdienstausfall nicht versichert ist oder später keine Pensionskassenleistungen in Anspruch genommen werden können. Viele Bühnenkünstler/innen sind auch nicht obligatorisch pensionskassenversichert, da sie bei keinem Arbeitgeber über ein pensionskassenpflichtiges Mindesteinkommen verfügen. Die Schweizerische Interpretenstiftung SIS und die Gesellschaft für Leistungsschutzrechte SWISSPERFORM haben Handlungsbedarf erkannt und die Plattform «#seinodernichtsein» lanciert. Sie funktioniert denkbar einfach: In jedem Kanton gibt es «Ambassadors», die Fragen von Bühnenkünstler/innen zu Vorsorge, Sozialversicherungen, Steuern etc. beantworten. Zusätzlich sind auf der Website viele Informationen und Links zu diesen Themen zu finden. Die Planung lief schon vor Covid-19. Es war ein Glücksfall, dass nicht erst in der Krise mit der Planung begonnen wurde. Wie wird man «Ambassador»? Es wurden in der ganzen Schweiz Personen angefragt, die in diesem Bereich tätig sind und sich mit diesen Fragen auskennen. Ich habe mich gefreut, dass ich als «Ambassador» für den Kanton Basel-Landschaft angefragt wurde und meine Erfahrungen weitergeben kann. Wir wird es finanziert? Getragen wird das Projekt von SIS und SWISSPERFORM. Ziel ist es, flächendeckend Leistungsvereinbarungen mit den Kantonen abzuschliessen. Sie beteiligen sich an den Kosten der Ambassadors. Das lässt sich aus meiner Sicht durchaus rechtfertigen, denn unsere präventive Arbeit hilft, Notsituationen zu vermeiden, in denen Künstler/innen Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssten. Was rätst Du jemandem in einer Notsituation? Ich hoffe, dass ich ihr schon vorher einen Rat geben kann, nämlich dann, wenn bei der Verhandlung über eine Gage bedacht werden muss, dass die nicht nur für die momentane Lebenshaltung reichen muss, sondern dass überdies Kosten für Sozialversicherungen, Vorsorge und Steuern anfallen. Entweder muss diese der Auftraggeber übernehmen oder die Gage muss ausreichend hoch sein, damit sie von der Künstlerin selber getragen werden können. Und dann würde ich ihr raten, sich Gedanken über die Vorsorge zu machen und ihren «Lohn» freiwillig zu versichern. Es gibt dafür spezifische Anbieter für Kulturschaffende. Wenn eine Künstlerin in einer Notsituation zu mir kommt, werde ich ihr aufzeigen, welche Hilfen sie in Anspruch nehmen kann und wie sie diese beantragen muss. Momentan bietet die Schweizerische Interpretenstiftung zusammen mit den Nordwestschweizer Kantonen, gezielte Weiterbildungen für Kulturschaffende an, die die Fähigkeiten der Kulturschaffenden erweitern und ihr Arbeitsfeld vergrössern. Ebenfalls kann man via Interpretenstiftung Beiträge für Weiterbildungen beantragen. Ziel dieser Förderung ist, dass Bühnenkünstler/innen zukünftig finanziell unabhängiger sind und sich in einer soliden, nachhaltigen wirtschaftlichen Lage befinden. Du bist seit sieben Jahren selbständig tätig. Was reizt Dich an der Selbständigkeit? Ich habe eine heilpädagogische Ausbildung gemacht und dann nach einigen Jahren gemerkt, dass mich der Arbeitsalltag sehr in Anspruch genommen und ermüdet hat. Dazu kam, dass mich Kultur schon immer fasziniert hat. Darum habe ich mich zu einer berufsbegleitenden CAS-Ausbildung im Stapferhaus in Lenzburg entschieden und mich anschliessend selbständig gemacht. Die Selbständigkeit wirkt sich sehr positiv auf meine Motivation, den Alltag und die gesamte Lebenssituation aus. Die Arbeit ist nicht bloss ein Broterwerb, sondern etwas, was ich wirklich gern mache. Ich schätze auch die Unabhängigkeit und dass ich Herausforderungen so angehen kann, wie ich es für richtig halte. Wie war der «Sprung ins kalte Wasser»? Erfrischend. Er hat sich absolut positiv auf meine Lebensqualität ausgewirkt. Ich arbeite mit viel Leidenschaft und das ist ein gutes Gefühl. Wie bist Du mit den Risiken umgegangen? Ich hatte nie das Gefühl, dass mich das belastet. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Wenn man sich auf etwas freut und die Chance hat, sich diesen Traum zu erfüllen, dann sollte man es tun. Es gibt immer Alternativen, falls es nicht funktioniert. Ich hatte mir fünf Jahre Zeit gegeben und eine Tabelle gemacht, in der ich meinen Verdienst als Kulturschaffende demjenigen gegenübergestellt habe, den ich mit Stellvertretungen im pädagogischen Bereich erwirtschafte. Meine Bedingung an mich selbst war, wieder eine Festanstellung an einer Schule zu übernehmen, wenn ich in den fünf Jahren mehr im pädagogischen verdiene als in der Kultur. Zum Glück musste ich das nicht. Entscheidend für mich ist aber nicht allein der Verdienst, sondern vor allem etwas zu machen, woran ich Freude habe, spannende Projekte zu lancieren oder zu begleiten und mit tollen Leuten zusammenzuarbeiten. Wie stehst Du zur oft kolportierten Diskrepanz zwischen «Kultur» und «Kommerz»? Dieses «entweder–oder» behagt mir nicht. Man soll sich doch nicht zwischen einer Arbeit entscheiden müssen, die man gern und gut macht und einer, von der man leben kann. Wir reden von Künstlerinnen und Künstlern, die anspruchsvolle Ausbildungen absolviert und Selektionen überstanden haben und die in ihrem Metier absolute Profis sind. Eine gute Schreinerin verrichtet ihre Arbeit professionell und mit Leidenschaft. Dafür erhält sie einen angemessenen Lohn. Genauso selbstverständlich müssen angemessene Entschädigungen im Kulturbetrieb sein. Wer gute Arbeit leistet, soll dafür auch vernünftig entschädigt werden. Es ist niemandem gedient, wenn Kulturschaffende darben. Das Gespräch führte Felix Werner im Mai 2021. © Die Nutzung und Wiedergabe von Inhalten, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Genehmigung von pro-KMU und mit Quellenangabe gestattet.
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