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Autor
Philip Karger
(Basel) ist nach einer landwirtschaftlichen Lehre und verschiedenen Weiterbildungen über die Mitarbeit in der familieneigenen Buchhandlung, einer Tochterfirma des S. Karger Verlags - einem der weltweit führenden medizinischen Fachverlage - in den Buch- und Verlagshandel eingestiegen. Von 2004 bis 2008 war er Geschäftsführer der Karger Libri AG. 2008 gründete er die Firma Karger Information, die Coaching, Verkaufstrainings und Projektbetreuungen anbietet. Im gleichen Jahr wurde er in den Vorstand der Liberal-demokratischen Partei Basel-Stadt gewählt. Neben seiner beruflichen und politischen Arbeit ist Philip Karger auch als Autor und Fotograf tätig. Philip Karger gehört dem Vorstand der Gruppe23 seit 2019 an. |
Covid-19
Langfristige Folgen für die Wirtschaft Momentan ist die KMU-Wirtschaft von den Covid-19-Massnahmen unterschiedlich stark betroffen. Es zeichnet sich ab, dass alle Unternehmen, Mitarbeitenden und eine ganze Generation junger Berufseinsteigerinnen und -einsteiger mit den Langzeitfolgen konfrontiert sein werden. Unternehmer und Berater Philip Karger wagt einen Ausblick. Unternehmer und Unternehmerinnen (verzeihen Sie mir, wenn ich ab hier nur noch die männliche Endung gebrauche) haben viele Hüte - wenngleich in aller Regel keine Aluhüte - auf. Sie sind Arbeitgeber, Organisatoren, oft in Branchenorganisationen aktiv, Erfinder, Finanzspezialisten und so weiter. Eine weitere notwendige Kompetenz ist das möglichst realistische Einschätzen der Zukunft. Für Planung, Budget und Geschäftsverlauf ist es entscheidend, auf eine möglichst realistische Prognose abzustellen. Solche Prognosen werden nicht mittels Blick in Glaskugeln erstellt. Vielmehr basieren sie auf persönlichen Einschätzungen, Vorhersagen von Fachleuten, Branchen- und allgemeinen Wirtschaftsdaten sowie auf dem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Meist sind daraus resultierende Prognosen recht präzis, unvorhergesehene Ereignisse können sie aber über den Haufen werfen - so wie 2020. Im Pandemiejahr ist alles anders. Es gibt keine Erfahrungszahlen und - fast noch schlimmer - keine verlässliche Auskunft darüber, wie lange Massnahmen in Kraft bleiben und welche Regeln in näherer Zukunft gelten werden. Die häufigen kurzfristigen Ankündigungen zur Verschärfung und zur Lockerung erschweren die Planung ungemein, zum Beispiel bei der Einsatzplanung für das Personal. Die fehlende Planungssicherheit ist nicht nur für Unternehmerinnen und Unternehmer, sondern auch für die Mitarbeitenden eine grosse Belastung. Plötzlich zu erfahren, dass der Betrieb geschlossen wird, oder dass Öffnungszeiten verändert werden, haben direkte Auswirkungen auf die Mitarbeitenden. Der Alltag, die Kinderbetreuung und die sozialen Kontakte müssen angepasst werden. Zudem können Quarantänen jederzeit Unternehmerinnen, Unternehmer und Angestellte treffen. Was dann? Homeoffice für den Gartenspezialisten? Die Kreissäge ins Esszimmer des Schreiners oder das Auto für den Service auf den Hof der Mietwohnung? Aufträge können nicht ausgeführt werden und nicht alle Kundinnen und Kunden reagieren verständnisvoll. Arbeitsplätze rangieren in den Statistiken der Ansteckungen zwar immer relativ weit oben, aber es wird keine Differenzierung ausgewiesen. In Grossraumbüros mag es eher zu Ansteckungen kommen, bei Büroarbeitsplätzen ist eine Quarantäne dafür auch weniger ein Problem. Was aber, wenn eine Gärtnerei ein ganzes Team in Quarantäne schicken muss, wenn die Kundenschreinerei 10 Tage schliessen muss? Diese Angst vor Quarantäne führt zu Situationen, denen bis jetzt viel zu wenig Beachtung geschenkt worden ist. Immer mehr Angestellte in Handwerksbetrieben fürchten sich davor, Auslöser für Quarantänen und damit für Umsatzverluste und Betriebsschliessungen zu sein. Als Folge davon schotten sie sich ab und ziehen sich aus ihrem gesellschaftlichen und sozialen Leben zurück - mit gravierenden Folgen für ihr Umfeld. Der Familienvater vermeidet den Kontakt zu seinen Kindern (sie könnten sich ja in der Schule angesteckt haben) oder die Frau besucht ihre betagte Mutter nicht mehr. Aber nicht nur Familien sind betroffen. Die Angst ist insbesondere auch bei Lernenden latent vorhanden. Die Tochter einer guten Freundin erlebt es immer öfters, dass ihre Freunde und Freundinnen sich nicht mehr mit ihr treffen wollen, auch nicht mehr zu zweit für einen Kaffee. Die Begründung ist immer die gleiche: «ich war schon einmal in Quarantäne und wenn ich das noch einmal machen muss, habe ich Angst um meine Lehrstelle. Dabei ist es für mich wichtig, dass ich auch ein Privatleben haben kann». Druck auf Mitarbeitende entsteht in den allermeisten Fällen nicht aus Ignoranz, sondern aus der Angst vor existenziellen Folgen für die Belegschaft und den Betrieb. Gerade für junge Leute, welche die Schule beendet haben oder sich in einer Berufsausbildung befinden, ist die jetzige Situation besonders schwierig. Es geht nicht um den erzwungenen Verzicht auf wilde Parties und Saufgelage, sondern um den weitgehenden Verzicht auf soziale Kontakte, die insbesondere für junge Menschen eine sehr wichtige Erfahrung sind und nicht beliebig verschoben werden können. «Du kannst das ja irgendwann nachholen» ist genauso wenig eine Option wie ausschliesslich virtuelle Kontakte. Junge Leute brauchen den direkten Austausch ganz besonders. Sie müssen die eigene Situation mit anderen vergleichen können, soziale Kontakte pflegen und leben. Die Unsicherheit wirkt sich auch auf den Einstieg ins Berufsleben dramatisch aus. Eine mir bekannte, 21-jährige Frau hat es geschafft, einen der begehrten Plätze an einer Universität in England zu bekommen, wo sie ihr Studium - welches in der Schweiz in dieser Form nicht angeboten wird - im September hätte beginnen sollen. Es war alles vorbereitet, als das verheerende Mail eintraf. Nicht nur, dass es im Moment keine Möglichkeit gebe, das Studium zu beginnen, sie müsse sich nach der Wiedereröffnung abermals um einen Studienplatz bewerben. Das ist der freie Fall, die unendliche Tiefe. Die Pläne waren gemacht (Die Uni ist immerhin für diesen Studiengang eine der besten weltweit), und plötzlich ist einfach gar nichts mehr da. Der Ausweg, sich einen Praktikumsplatz zu suchen, um etwas Sinnvolles zu tun und sich auf das Studium vorzubereiten, ist aussichtslos. Wer stellt in diesen Zeiten Praktikantinnen und Praktikanten an? Auch die beliebten Studentenjobs in Restaurants, Bars oder für Teilzeitarbeit in Ladengeschäften sind kaum mehr vorhanden. Vor solchen Situationen stehen derzeit tausende junger Menschen. Wenn die junge Frau Glück hat, bekommt sie den Studienplatz in einem oder zwei Jahren. Das bedeutet für sie, dass sich ihre ganze Lebensplanung um diesen Zeitraum verschiebt. Für Erwachsene mag diese Aussicht nicht dramatisch sein, für junge Leute ist sie verheerend. Junge, innovative Mitarbeitende kommen viel später in die Firmen (die es dann hoffentlich noch gibt), beginnen später mit der Zahlung von AHV-Beiträgen und der individuellen Vorsorge. Zugleich wird die Konkurrenz grösser, weil nachfolgende Jahrgänge ebenfalls ins Berufsleben drängen. Zu einer Lösung beitragen kann ein vorgezogener Militär- oder Zivildienst. Rekrutenschulen finden zwar statt, aber verschiedene spezielle Angebote wurden wegen Corona gestrichen. Hier könnte der Staat auf einfache und günstige Art und Weise mithelfen, die Folgen für junge Menschen in dieser Lebensphase zu mildern. Inzwischen ist nach bald 10 Monaten Anti-Corona-Massnahmen klar, dass das wilde Auf und Ab an Massnahmen sowie eine nicht ersichtliche Strategie und fehlende mittelfristige Perspektiven über die direkten Folgen hinaus massiven Schaden anrichten, für die weder Ausgleichszahlungen noch andere Unterstützungsmassnahmen vorgesehen sind. Die Abfederung dieser Folgen ist unerlässlich und den politisch Verantwortlichen muss klar sein, dass Unterstützung weit über das Ende der Krise hinaus erforderlich sein wird. 03. Dezember 2020 / Philip Karger |